So ist das in der Politik: in guten Zeiten beschwört und feiert man das Wachstum, in schlechten Zeiten spricht man davon, dass alles erlaubt sein muss und für den Haushalt kein Thema ein Tabu sein darf. Ingolstadt ist eine Industriestadt und wird es auch weiterhin bleiben. Es wird Auf und Abs geben, Geld wird fließen und dann wieder nicht. „Daran ist man ja gewöhnt und kennt es nicht anders“, sagen Lokalpolitiker mit jahrzehntelanger Erfahrung. Also Gürtel enger schnallen, durchhalten und warten auf bessere Zeiten?
Kann sein, dass da was dran ist. Möglicherweise werden die Zeiten aber insgesamt schlechter, und trotz einiger kommenden Aufs, geht es die nächsten Jahre eher insgesamt bergab? Man weiß es nicht genau, man kann es nur ahnen, vieles sieht danach aus. Dass alles erlaubt sein muss und für den Haushalt kein Thema ein Tabu sein darf, das gilt aber natürlich auch für die Sorgen von uns Kulturschaffenden. Zumindest wäre es vielleicht angberacht, nicht jedes Thema vom Standpunkt der Industrieabhängigkeit zu diskutieren, und einmal für einen Moment Audi zu vergessen.
So ist das in der Politik: gedacht und gesteuert wird im Rhythmus der Legislaturperiode und man könnte meinen, vor der Wahl wird gar nicht mehr viel gedacht. Zumindest geht es uns Kulturschaffenden in Ingolstadt so, wenn wir sehen, welche Kürzungen bei den Förderungen wir gerade schlucken müssen. Die Entscheider werden sich gegen diese Sichtweise verwahren und ihren guten Willen und ihre Ernsthaftigkeit betonen. Ich möchte Ihnen auch keine unlauteren Absichten unterstellen, aber einen Verdacht haben wir in der Szene schon: alles das, was man von uns Kulturschaffenden erwartet, bringt die Politik oft nicht mit: Zusammenhalt, Solidarität, Kreativität, Unternehmergeist, Initiative und Mut. Es wird zwar oft so gesprochen, als wüsste man, wie Kultur lukrativ sein könnte, wenn man nur erstmal entscheiden könnte. Gleichzeitig aber wurden die letzten Jahrzehnte potenzielle wirtschaftlich erfolgreiche Unternehmungen ab eine gewissen Ausgabensumme klein gehalten, anstatt den letzten Schritt zu gehen und zu investieren, um echte überregionale Marken zu schaffen. Egal ob Jazztage, Musikfestivals, Staatstheater, Museumsviertel – kurz vor dem Ziel wird abgebremst, der jahrzehntelange erarbeitete gute Ruf in der Region nicht weiter dazu genutzt, um dieses Potenzial einer Marke „Ingolstadt Kulturmetropole“ über die Region aus der Provinz hinaus zu tragen, groß zu machen und ein erfolgreiches Geschäft zu schaffen. Und das noch nicht einmal aus einer wirtschaftlichen Notlage heraus, sondern weil man einfach nicht daran geglaubt hat, egal wieviel positive Beispiele es in anderen Kommunen geben mag.
Alternativen entwickeln, zweites Standbein aufbauen? Hatte man ja nie nötig, hat man nie verstanden und wollte man auch nicht mit Leuten ausdiskutieren, zu denen man persönlich nie einen Draht aufgebaut hatte. Politiker, die sich brüsten, noch nie einen Schritt ins Stadttheater gemacht zu haben, oder die man das ganze Jahr noch nie auf einer kulturellen Veranstaltung außerhalb von Bürgerfest oder Volksfest gesehen hat, haben eben einen ganz anderen Glauben. Im Moment aber wird sehr deutlich, auf die Industrie allein ist eben kein Verlass, deren Manager sind sogar oft Verursacher dieser Misere. Diese Unternehmen und diese Manager agieren und denken, um am besten überleben zu können, koste es, was es wolle. Das liegt tatsächlich verständlicherweise in der Natur der Sache, es geht rein um Gewinne.
Dass sich in Ingolstadt überhaupt so etwas anderes als die industrielle Kultur entwickeln konnte, das hat nichts mit Audi zu tun. Das wurde getragen von einer lebendigen Kunstszene und einem interessiertem Publikum, die gemeinsam über Jahrzehnte oft mühsam diese Kulturlandschaft sprichwörtlich aus dem nichts geschaffen haben. Das alles wurde gefördert und unterstützt von Menschen aus der Wirtschaft, der Verwaltung und von kämpferischen und mutigen Bürgermeistern und Stadträten, deren Einsatz gar nicht groß genug zu danken ist. Alle fünf Jahre hat diese Szene ein wenig den Kopf eingezogen, wenn sie im Wahlkampf wieder einmal zum Feindbild erklärt wurde und abgewartet, bis dieser Donner sich verzogen hatte. Dazwischen hat sie natürlich aber auch vom Wohlstand der Kommune profitiert. Wie alle anderen auch. Förderung ist kein Alleinstellungsmerkmal der Kultur mittels sogenannte freiwillige Leistungen. Wir alle werden gefördert, vom ersten Moment unseres Lebens, ob Mann oder Frau, Hund oder Katze, Politiker oder alles dazwischen. Unser System beruht auf gegenseitiger Förderung, und welche Förderung wichtiger ist als die andere, ist reine Ermessensache der gewählten (!) Entscheider. Diese Entscheidungen können gut sein oder schlecht, meistens sind sie beides. Mit jeder Kürzung beißt sich die Katze auch in den eigenen Schwanz.
Und dieses Mal ist es deutlich anders. Der Ton wird aggressiver und kaltschnäuziger. Der Kulturkampf, den man nur aus den internationalen Nachrichten zu kennen meinte, scheint sich auch in der Provinz breit zu machen. Da wird damit gedroht, dass das Stadttheater schuld daran ist, wenn es kein Bürgerfest mehr geben könnte. Intelligente und unbequeme Kunst wird als elitär diffamiert, die hier in Ingolstadt keiner braucht und mit der eh kein Geld zu machen ist. Die freiwilligen Leistungen im Haushalt werden in einem Maße gestrichen, als gehe es lediglich darum, den eigenen Kindern die Süßigkeiten zu verbieten – Ende der Diskussion! War es das, was auf den Tisch sollte?
Die Szene ist schockiert und an die Wand gestellt, sie fühlt sich wie Lettland, Estland und Litauen, aber ohne den Schutz der Nato. Die ersten Einschläge ins Landesinnere waren heftig, fast überall zwischen 40 und 60 Prozent Verluste. Manche Kulturschaffenden oder Vereine werden das nicht überleben, andere agieren im Moment schwer verletzt aus dem Feldlazarett heraus. Die Jugendarbeit ist praktisch ohne Gliedmaßen und weit und breit gibt es keine Reserven, die das auffangen könnten. Von musischer Bildung kann in Ingolstadt bald keine Rede mehr sein. Die Schulen spielen bei dem Thema ja auch immer weniger eine Rolle, die kämpfen selbst um jede Musikstunde. In Ingolstadt wird kein Rasen gemäht, da wird gerade umgepflügt, ohne einen Plan zu haben, was man in Zukunft ansäen will, alles auf Kosten der nächsten Generationen und zu Lasten einer lebenswerten Stadt. Will man so leben?
Hat irgendjemand jemals nachgefragt, warum diese Förderungen in den letzten Jahren so wichtig waren, warum es diese Entscheidungen FÜR und nicht GEGEN gab? Welchen Nutzen Ingolstadt von dieser kulturellen Arbeit hat, wieviel Nachfrage hier vorhanden ist? Ist der Bürgerschaft bewusst, was hier gerade angerichtet wird? Die Eltern, die ihre Kinder in die Kunst- und Kulturbastei bringen, die wissen das. Die Menschen, die ins Theater und in Ausstellungen gehen, wissen das. Für alle anderen war es bisher kein Thema, war aber auch nie ein Problem. Aber nun wird es für sie zum Thema gemacht und dabei verschwiegen, dass es auch für sie persönlich noch zum Thema wird, was weitere Einsparungen angeht. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche, das ja bekanntlich immer am Ende eines Gebets, also übertragen, nach der Wahl gesprochen wird.
Dabei ist es recht einfach zu erklären, welche Auswirkungen das hat. Es ist nämlich nicht so, dass die Kultur abhängig ist von der Politik. Abhängig sind nur die Kulturschaffenden von politischen Entscheidern, nicht aber die Kultur a priori von der Politik an sich. Für manche mag das vielleicht zu abstrakt klingen, es hat aber fundamentale Auswirkungen. Politik ist „downstream from culture“, sie folgt aus der Kultur, wie es der US-Journalist Andrew Breitbard formuliert. Zuerst bildet sich die Kultur. Und aus dieser wächst die Politik heraus, und nicht umgekehrt. Das sind normale Vorgänge in der Menschheitsgeschichte, die man aus frühesten Familienstrukturen kennt oder seitdem sich Menschen in Gruppen zusammenschließen und organisieren. Der Wunsch nach Verbindungen kommt aus einer kulturellen gemeinsamen Basis heraus. Verändert sich eine Kultur, dann ändert sich automatisch auch die Politik, das wissen auch die Gegner der Demokratie. Und Veränderungen passieren durch neue ständige Herausforderungen natürlich ständig. Die Politik muss darüber diskutieren, wie sie damit umgehen kann. Praktisch gesehen kann das aber zum Beispiel auch bedeuten: Beschränke ich Kultur in ihrer Vielfalt, dann leidet irgendwann auch die Vielfalt des demokratischen Diskurs. Eine Tatsache, die ja bewusst von antidemokratischen Kräften gewünscht und provoziert wird. Erkläre ich die Kultur zum Feindbild, zur Elite, die nur Geld kostet, dann dauert es nicht lange, bis auch die Politik zum Feindbild erklärt wird, weil die gleiche Argumentation den Urhebern dieser Behauptungen auf die Füße fallen wird. Merken sie was? Steigende Politikverdrossenheit? Identitäre Bewegungen, die entstehen, Fake News? Politische Elite? Wir sind mittendrin im Kulturkampf. Die Revolution frisst ihre Kinder und dabei ist es vollkommen unerheblich, ob es sich um eine bewaffnete, einen friedliche, eine soziale oder eine finanziell-strukturelle Revolution handelt. Den Unterschied macht hier lediglich die Zeitspanne, in der so etwas passiert. Bewaffnete Umstürze sind direkter spürbar als strukturelle Eingriffe. Jeder aber, der nur ein wenig ein Gespür für systemische Zusammenhänge hat, wird erkennen, was passiert, wenn solche Diskussionen angezettelt werden. Sie schaffen Risse im kulturellen Zusammenleben, sie spalten, sie eröffnen Fronten, sie werten ab.
Wahre Demokraten machen das nicht, sie suchen andere Lösungen, auch wenn die Angst vor der Pleite vollkommen verständlich und real ist. Angst vor Arbeitslosigkeit, Angst vor höheren finanziellen Belastungen – das sind alles Themen, die berechtigt sind, das sind alles politische und gesellschaftliche wichtige Themen. Wir müssen aber aufpassen, dass diese Diskussionen um den eigenen Geldbeutel nicht dazu führen, dass wir unser eigenes demokratisches Grab schaufeln. Bei allen Sparmaßnahmen muss man sich genügend Zeit nehmen, sie im Detail zu diskutieren. Tun wir das? Jedem Bürger muss klar sein, es geht hier um eine weit größere Sache, als um Konsolidierung. In diese Sache weiterhin zu investieren ist ungemein wichtig.
—
Eingereicht von: Steffi
E-Mail: swl@swl-atelier.de